Adrian Altintas & Madeleine Boschan
24.6. – 27.8.2023
© 2023 Adrian Altintas, Madeleine Boschan & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos / Photos: Kilian Blees
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Mit dem Maler Adrian Altintas und der Bildhauerin Madeleine Boschan treffen zwei künstlerische Positionen aufeinander, die ihre Konzentration auf die grundlegenden Parameter ihrer Gattung richten. Die Eigenschaften von Form und Farbe stehen ebenso im Fokus, wie das Verhältnis von Fläche und Körper. Dabei überschreiten beide regelmäßig die Grenzen des eigenen Mediums, um in das des jeweilig anderen einzutauchen. Aus den unterschiedlichen Perspektiven wird die Frage nach der Objekthaftigkeit des Bildes bzw. der Bildhaftigkeit des Objekts gestellt. Gemälde und Plastik nähern sich so in der Ausstellung einander an, um doch wieder zu den eigenen Ursprüngen zurückzukehren.
Die Cutouts von Adrian Altintas entstehen aus Bildträgern, auf die er eine unebene, weiße Oberfläche aufträgt, und so den Bildkörper aus sich heraus konstruiert. An einigen Stellen sind Schraffuren und Linien in das Material eingeschrieben, an anderen befinden sich ausgeschnittene Formen, welche die Sicht auf die dahinterliegende Wand freilegen. Die Spuren und Linien geben die Komposition vor – oder mehr – sie selbst sind bereits elementarer Bestandteil ebendieser, auf die Altintas mit den Ausschnitten reagiert. Die innenliegenden Flächen der Cutouts sind mit klarem Gelb, Rot, Blau, Grün oder Orange nachgezogen und werden durch das Zusammenspiel des Lichts und dem Weiß des umgebenden Bildraums derart reflektiert, dass er in einen farbigen Schimmer getaucht ist und die Werke eine physische Präsenz erhalten, die zwischen Bild und Relief oszilliert.
Die Ausschnitte basieren auf organischen Formen, die aus dem körperlichen Empfinden des Künstlers entstehen. Die Bildkörper nehmen diese Formen auf. Sie empfinden noch das rechteckige oder quadratische Format einer klassischen Leinwand nach, doch ihre gewundenen, unregelmäßigen Kanten geben dem Bild die Freiheit, auch außerhalb dieser Begrenzung zu existieren und sich als Körper aus in sich geschlossenen und dann wieder offen gehaltenen Flächen zu manifestieren.
Die Grenzbereiche zwischen Repräsentation und Abstraktion werden zusehends verzerrt und der Akt des Wahrnehmens als Prozess des Sehens bewusst gemacht. Denn nur durch die Komposition und Farbigkeit der Ausschnitte, setzen sich aus abstrakten Formen Erscheinungen der Wirklichkeit zusammen. Das Wahrgenommene findet somit nicht ausschließlich auf dem Bild statt, sondern ergibt sich aus den subjektiven Erfahrungen und Sehgewohnheiten. Altintas dekliniert durch, wie etwas bildnerisch und plastisch darzustellen ist, und zeigt, wie Abstraktes für die menschliche Wahrnehmung gegenständlich wird.
Madeleine Boschans architektonisch anmutenden, minimalistisch-geometrischen Plastiken konstituieren sich im Bezug zu Körper und Raum und sind sowohl imaginäre als auch reale Orte für soziale Begegnungen und Interaktionen. Die Auseinandersetzung mit dem architektonischen Prinzip des Portals beschäftigt die Bildhauerin seit vielen Jahren. Ein Portal – stets Ausdruck einer Gemeinschaft – steht für sie für den menschlichen Kulturraum, während das Sich-Öffnen, aber auch das Sich-Verschließen, unseren sozialen, ethischen und ästhetischen Raum seit jeher definiert. Ihre Portale können somit als semipermeable Haut unseres inneren Kulturraums verso des außenliegenden Naturraums begriffen werden.
Ihre Titel sind oftmals Gedichten von Lyrikern wie E. E. Cummings und James Schuyler entlehnt. Ähnlich einem Gedicht, erzeugen sie einen atmosphärischen Raum, der individuelle Stimmungen und Empfindungen zu erzeugen und beeinflussen vermag.
Die Relation ihrer Flächen und Winkel suggerieren, dass die Werke mathematischen Berechnungen zugrunde liegen. Doch der Schein trügt, denn sie entstehen viel eher aus dem körperlichen Empfinden und der Intuition der Künstlerin. Sie spürt nach, wie sich Arme öffnen, sich das Knie beugt, das Bein streckt und sich physische Haltungen und Positionen im Raum finden. Die Klarheit und geometrische Strenge entwickelt sich so aus ihrem subjektiven Proportionsempfinden.
In den äußerst malerischen, farbigen Oberflächen der Portale ist zudem ein dynamischer, streng geführter Pinselduktus zu erkennen, der durch meditativ gesetzte Bewegungen entsteht. Die miteinander verbundenen Linien, die in sich geschlossene Oberflächen bilden, müssen als Ausdruck des psychischen wie auch physischen Empfindens der Künstlerin gelesen werden.
Mit der Bewegung der Betrachterinnen und Betrachter im Raum sowie dem Zusammenspiel von Form, Farbe und Licht, erzeugen die Portale ein Schattenspiel im Umraum. Ihre Öffnungen geben, ähnlich wie die Ausschnitte von Adrian Altintas‘s Cutouts, den Blick auf den dahinterliegenden Raum frei und lassen unterschiedliche Blickachsen entstehen.
Die dreiteilige, begehbare Plastik Somewhere I have never travelled, gladly beyond any experience (Parataxe), 2023, setzt sich aus monochromen schwarzen und weißen Aluminiumblechen zusammen. Die senkrechten, hochaufragenden und asymmetrischen Formen erzeugen wiederum einen sphärischen Raum, der im freien Wechsel sowohl Inneres als auch Äußeres ist und in einen Dialog mit der umgebenden Architektur tritt. Das Miteinander von Symmetrie und Asymmetrie lässt das menschliche Maß als subjektives, räumliches Empfinden aus dem Gleichgewicht geraten, sodass die Betrachterinnen und Betrachter ihre eigene Position innerhalb dieses Gefüges neu bestimmen müssen.
Beiden künstlerischen Ansätzen ist somit auch eine zutiefst menschliche Dimension eigen, welche die subjektive Wahrnehmung der Rezipientinnen und Rezipienten auf unterschiedlichen Ebenen herausfordert.
Adrian Altintas (geb. 1989, lebt und arbeitet in Berlin) hat an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert. 2019 wurde Altintas mit dem Nachwuchspreis Rundgang 50Hertz der Neuen Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin in Kooperation mit dem Museum Hamburger Bahnhof ausgezeichnet. Zu den jüngsten Einzelausstellungen zählen Rides im Kunstverein Heppenheim und Adrian Altintas in der Sunday-S Gallery in Kopenhagen.
Madeleine Boschan (geb. 1979, lebt und arbeitet in Berlin) hat an der Hochschule für bildende Künste Braunschweig und an der École Supérieure d’Art et Design du Havre studiert. Ihre Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen national und international präsentiert, u.a. im Kunstmuseum Wolfsburg, im Mercedes-Benz Museum, Stuttgart, in der Kunsthalle Erfurt, in der Neue Galerie Gladbeck, in der Galerie Bernd Kugler, Innsbruck, im Stedelijk Museum, Ypres, im Weserburg – Museum für Moderne Kunst.
Text / Kuratorin: Hannah Eckstein
With the painter Adrian Altintas and the sculptor Madeleine Boschan two artistic positions come together that focus on the fundamental parameters of their genre.
The properties of form and colour are just as much in focus as the relationship between surface and body. Both regularly transcend the boundaries of their own medium in order to immerse themselves in that of the other. From the different perspectives, the question of the objecthood of the image respectively the imagehood of the object is posed. Painting and sculpture thus approach each other in the exhibition, only to return to their own origins.
Adrian Altintas' “Cutouts” are created from picture supports onto which he applies an uneven, white surface, thus constructing the body of the painting from within itself. In some places, hatchings and lines are inscribed in the material, in others there are cut-out shapes that reveal the view of the wall behind.
The traces and lines dictate the composition - or more - they themselves are already elementary components of this very composition, to which Altintas reacts with the cut-outs. The interior surfaces of the cut-outs are traced with clear yellow, red, blue, green, or orange and are reflected by the interplay of light and the white of the surrounding pictorial space in such a way that it is bathed in a coloured shimmer and the works take on a physical presence that oscillates between image and relief.
The cut-outs are based on organic forms that arise from the artist's physical sensations. The bodies of the pictures take up these forms. They still feel the rectangular or square format of a classical canvas, but their sinuous, irregular edges give the image the freedom to exist outside this boundary and to manifest itself as a body of self-contained and then open surfaces.
The border areas between representation and abstraction are visibly distorted and the act of perceiving is made conscious as a process of seeing. For it is only through the composition and colourfulness of the cut-outs that appearances of reality are composed from abstract forms. What is perceived thus does not take place exclusively in the picture, but results from subjective experiences and habits of seeing. Altintas declines how something is to be represented pictorially and plastically and shows how abstract things become concrete for human perception.
Madeleine Boschan's architectural, minimalist geometric sculptures are constituted in relation to the body and space and are both imaginary and real places for social encounters and interactions.
The sculptor has been preoccupied with the architectural principle of the portal for many years. For her, a portal - always an expression of a community - stands for the human cultural space, while opening up and closing off, has always defined our social, ethical and aesthetic spaces. Her portals can thus be understood as a semi-permeable skin of our inner cultural space verso the outer natural space.
Their titles are often borrowed from poems by poets such as E. E. Cummings and James Schuyler. Similar to a poem, they create an atmospheric space that is able to generate and influence individual moods and sensations.
The relation of their surfaces and angles suggest that the works are based on mathematical calculations. But appearances are deceptive, for they arise much more from the artist's physical sensibility and intuition. She traces how arms open, the knee bends, the leg stretches, and physical postures and positions find themswelves in space. The clarity and geometric rigour thus develop from her subjective sense of proportion.
In the extremely painterly, coloured surfaces of the portals, a dynamic, strictly guided brushstroke can also be seen, which is created by meditatively placed movements. The interconnected lines that form self-contained surfaces must be read as an expression of the artist's psychological as well as physical sensibility.
With the movement of the viewers in the space and the interplay of form, colour and light, the portals create a shadow play in the surrounding space. Their openings, similar to Adrian Altintas's Cutouts, reveal the view of the space behind them and allow different axes of vision to emerge.
The three-part, walk-in sculpture “Somewhere I have never travelled, gladly beyond any experience (Parataxe)”, 2023, is composed of monochrome black and white aluminium sheets. The vertical, towering and asymmetrical forms in turn create a spherical space that is both interior and exterior in free alternation and enters into a dialogue with the surrounding architecture. The coexistence of symmetry and asymmetry unbalances the human measure as a subjective, spatial perception, so that the viewers have to redefine their own position within this structure.
Both artistic approaches thus also have a deeply human dimension that challenges the subjective perception of the recipients on different levels.
Adrian Altintas (born 1989, lives and works in Berlin) studied at the Hochschule für bildende Künste in Hamburg. In 2019, Altintas was awarded the Rundgang 50Hertz Young Artist Prize by the Neue Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin in cooperation with the Museum Hamburger Bahnhof. Recent solo exhibitions include Rides at Kunstverein Heppenheim and Adrian Altintas at Sunday-S Gallery in Copenhagen.
Madeleine Boschan (born 1979, lives and works in Berlin) studied at the Hochschule für bildende Künste Braunschweig and at the École Supérieure d'Art et Design du Havre. Her works have been presented in numerous solo and group exhibitions nationally and internationally, including at the Kunstmuseum Wolfsburg, the Mercedes-Benz Museum, Stuttgart, the Kunsthalle Erfurt, the Neue Galerie Gladbeck, the Galerie Bernd Kugler, Innsbruck, the Stedelijk Museum, Ypres, the Weserburg - Museum für Moderne Kunst.
Text / Curator: Hannah Eckstein