captured in-between
Ira Konyukhova
Marc Lee
Lena Policzka
19.9. – 8.11.2020
© Die Künstlerinnen und Künstler & Kunstverein Friedrichshafen, Fotos: Frank Kleinbach
In Zeiten, in denen die Welt Kopf steht und wirtschaftliche Interessen das Maß aller Dinge sind, bedeutet der Siegeszug digitaler Technologien Chancen und Gefahren zugleich. Die digitale Revolution hat zu tiefen Einschnitten in allen Lebensbereichen geführt, sodass die Folie, auf der sich unsere Realität entfaltet, kontinuierlich durch wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Innovationen erweitert und verändert wird. Science Fiction wird allmählich zur Realität und die Frage immer drängender, wie wir in Zukunft als Individuen und Gesellschaft leben wollen, denn das utopische Versprechen unserer Informations- und Wohlstandsgesellschaft verwandelt sich zusehends in ein dystopisches Szenario.
Digitale Datenströme und Algorithmen beeinflussen mehr und mehr unsere Identität und mit ihr unsere Wünsche und Ängste. In den demokratischen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts lässt sich offenkundig nur noch schwerlich ein gemeinsamer Konsens finden und so prallen in den Medien und auf etlichen Plattformen im Internet die verschiedensten Meinungen aufeinander. Die Verbindung von Mensch und Maschine, die durch die allgegenwärtigen Technologien und den damit einhergehenden Möglichkeiten bereits ihren Anfang genommen hat, ist für die einen erstrebenswerte Utopie, in der der menschliche Drang nach Selbstoptimierung seinen Höhepunkt erreicht, für die anderen jedoch die schlimmste vorstellbare Dystopie, in der unsere individuelle Freiheit immer mehr beschnitten, und unsere physische Existenz zunehmend in Frage gestellt wird. Führen die Heilsversprechen unserer Wohlstandgesellschaft und der digitalen Technologien nun also zu einer besseren, lebenswerteren Welt oder läuft die Menschheit Gefahr, in ihrem Streben nach Fortschritt und Selbstoptimierung die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören und zu einer digitalen Hülle ihrer Selbst zu werden?
Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit den schier unerschöpflichen Thematiken auseinander, die im Zusammenhang mit der kapitalistischen und digitalen Durchdringung unserer Lebenswelt stehen und nutzen zur kritischen Reflektion die gesamte Palette verfügbarer Medien. Die Ausstellung captured in-between präsentiert mit Ira Konyukhova, Marc Lee und Lena Policzka exemplarisch drei künstlerische Positionen, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem schmalen Grad auseinandersetzen, der zwischen den Utopien und Dystopien unserer gegenwärtigen Lebenswelt herrscht.
Ira Konyukhovas (*1984, Udomlja, Russland) Arbeiten befassen sich mit der Frage, inwieweit wir neue Technologien als Bedrohung oder als zivilisatorischen Fortschritt wahrnehmen und befinden sich somit genau an der Schnittstelle, an der sich der schmale Grad zwischen Utopie und Dystopie offenbart. Kritisch reflektiert Konyukhova die Auswirkungen der medial verbreiteten, omnipräsenten Aufmerksamkeitsökonomie auf die Demokratie und die Konstruktion von Identität. Ihre Werke kreisen immer wieder um die Frage, inwiefern und auf welchem Weg medial vermittelte politische Inhalte Einfluss auf die Gesellschaft und das einzelne Individuum nehmen. Fragestellung, die insbesondere die Chancen und Gefahren Künstlicher Intelligenz in den Blick nehmen, stehen außerdem im Zentrum ihrer Skulpturen, Videoarbeiten und multimedialen raumgreifenden Installationen.
Marc Lee (*1969, Knutwil, Schweiz) kreiert netzwerkorientierte interaktive Installationen, Performances, Videoarbeiten und VR-Arbeiten. Er experimentiert mit Informations- und Kommunikationstechnologien und beschäftigt sich mit den Mechanismen, die kreative, kulturelle, soziale, ökonomische und politische Prozesse im Internet offenlegen. Seine Arbeiten nehmen die globalisierte und digitalisierte Welt als Ausgangspunkt und zeigen auf, wie mit Hilfe digitaler Kommunikation unsere persönlichen Daten - gewollt oder ungewollt - zur Ware werden und unser Denken und Handeln steuern.
Im Zentrum von Lena Policzkas (*1987 Penzberg) künstlerischen Praxis steht eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konventionen unserer postindustriellen, vom technologischen Fortschritt bestimmten Welt, die zu Phänomenen der Natur ins Verhältnis gesetzt werden. Die fortlaufende Werkreihe Rushbeschäftigt sich z.B. mit der Frage, ob die Menschheit die Natur als maßgebliche, unsere Umwelt gestaltende Kraft abgelöst, und somit die seit jeher geltenden Gesetze der Evolution ausgehebelt hat.
Für die Ausstellung captured in-between hat die Künstlerin eine raumgreifende Installation bestehend aus der Videoarbeit Rush: Trojan Horse und der Skulptur Rush: Deposition of Utopia entwickelt, die metaphorisch den menschlichen Drang nach Fortschritt und Selbstoptimierung veranschaulichen, um ihn als unumgängliches Verhängnis zu entlarven.
Text / Kuratorin: Hannah Eckstein
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